elda.INK – Artistic Mind Lab

Zivilisiert, aber bitte mit Panikknopf

Je lauter wir „Zivilisation“ intonieren, desto massiver werden die Schlösser….

Dressur mit Aussicht

Modernes Leben ist die Kunst, mit frisch geölten Türschlössern auf Freiheit zu pochen. Tagsüber diskutieren wir „Zivilisation“, nachts shoppen wir die Premium-Version des Bewegungsmelders. Fortschritt heißt heute: Der Schlüssel wird immer smarter, das Vertrauen immer dümmer. Die Pose dazu liefert das Wort „modern“ selbst ein Chamäleon, das mal nach Mode klingt (Saisonware, trägt sich ab, kommt wieder rein), mal nach Modus (Betriebsart, bitte auf Funktion schalten). Alles wiederholt sich, nur der Karton wird teurer. Man könnte es als seelische Retoure bezeichnen: Wir schicken uns zurück an den Absender, etikettieren das Paket „Selbstverwirklichung“ und hoffen, dass die Reklamationsfrist noch läuft.

Beginnen wir mit dem heiligen Dreiklang unserer Gegenwart: geboren werden, funktionieren, putzen. Dazwischen hängt das Poster vom Selbst, das endlich „ankommen“ will als wäre „Ankunft“ ein Ort und nicht bloß ein Lärm, der Verstummung nicht erträgt. Wir dressieren Milliarden Körper, damit sie die Dinge bedienen, die sie besitzen, damit sie die Dinge besitzen dürfen, die sie bedienen. Häuser sind Maschinen zur Verlängerung von To-do-Listen: morgens arbeiten, abends wischen, Wochenenden für das Ritual der Entropie-Aufschiebung reservieren.

Natürlich nennen wir das „Leben“. Wie klingt denn sonst die Werbepause zwischen zwei Pflichtterminen? Selbst unser Rebellionsvokabular ist in die Jahre gekommen: „Ich bin unfreiwillig hier“ nicht trotzig, sondern protokollarisch. Eine Geststellung, keine Geste: Diese Welt ist eine fremdformatierte Datei, und wir dürfen sie nur im Lesemodus öffnen.

Zivilisiert, aber bitte mit Panikknopf

Je lauter wir „Zivilisation“ intonieren, desto massiver werden die Schlösser

Stadt und Staat?

Wir tragen Zutrittsrechte wie Orden am Revers und rühmen uns, dass wir jetzt endlich jeden Raum per App entsichern nur dumm, dass die App ein Abo braucht. Wir investieren Milliarden in Sicherheit und wundern uns, dass wir uns unsicher fühlen: Als hätten wir die Unsicherheit nicht längst als Abo-Modell internalisiert monatlich kündbar, aber praktisch nie gekündigt.

Stadt und Staat? Der eine baut Bordsteine, der andere Bordsteinkanten fürs Denken. Die Stadt verwaltet Quadratmeter, der Staat verwaltet die Verwaltung. Dazwischen der Mensch, der stolz ist, dass sein Türspion jetzt in 4K streamt. Zivilisierung heißt heute: Wir domestizieren das Risiko, bis es brav auf der Fußmatte sitzt und bellt, sobald Empathie klingelt.

Die Maulkorbpflicht für Abweichung

Neurodivergente Wahrnehmung wird gern als Betriebsstörung etikettiert, während die Norm jene kollektive Schablone fürs Gemüt als Service-Standard durchgeht. „Sag es leiser“, sagen sie, wenn man Nonsens als Nonsens erkennt. „Sag es klarer“, wenn man es wagt, nicht zu gefallen. Was wirklich gemeint ist: „Sag es so, dass wir nichts ändern müssen.“ Unsere Zeit ist radikal offen für alles, was uns nicht verändert.

Futur II

Wir werden angekommen sein

„Zukunft“ klingt in unseren Ohren nach glänzender Lieferung. Vergessen wird, dass „Zukunft“ sprachlich von „Zu-Kunft“ kommt also Ankunft. Und Ankunft ist, streng genommen, immer das Ende einer Reise.

Wir aber wollen reisen, ohne je zu landen: Jetlag der Seele als Lifestyle. Wir sprechen von „Zielen“, meinen aber meist Gelegenheiten, uns von uns selbst abzulenken. Vielleicht wäre die ehrlichere Frage: Wozu wollen wir ankommen damit wir endlich anfangen dürfen?

 

Was wir stattdessen perfektionieren: die Gesten der Produktivität. Kalender als Trophäen, Fokuszeiten als moralische Auszeichnungen, der geölte Workflow als Ersatzreligion. Wir erfinden Wörter wie „Quality Time“, um zu vermeiden, dass die meiste Zeit nicht die Qualität hat, die wir uns schönreden.

Und wenn es kriselt, wechselt man den Modus: Von Deep Work zu Self Care, von Self Care zu Emergency Mode, von Emergency Mode zur Anschaffung eines Luftreinigers, der womöglich nur das schlechte Gewissen filtert.

Der Universal-Schlüssel (den wir hassen würden)

Es gibt diese naive Idee, die in den stillen Ecken der Köpfe herumstreunt: eine Welt ohne Türen, weil niemand sie braucht. Das setzt voraus, dass Vertrauen unser Betriebssystem wäre nicht Passwort-Politik. Stellen Sie sich vor: Türe weg, Schloss weg, Zugang als Praxis, nicht als Privileg.

Wir behaupten, wir würden das lieben. Wir würden es hassen. Denn wo kein Schloss ist, gibt es auch keine Entschuldigung, nicht zu öffnen.

Vielleicht liegt darin der eigentliche Skandal unserer Zeit: Wir verlangen radikale Sicherheit und wünschen radikale Freiheit. Und jedes Mal, wenn beides kollidiert, bauen wir noch eine Kameralinse drauf. Die Lösung, ausnahmsweise banal: weniger Fensterscheiben zur Welt, mehr Blickkontakt in ihr.

 

 

Wie man ankommt, ohne sich einzurichten

Ankunft ist kein Einzug, sondern eine Haltung: aufzutauchen, bevor man poliert ist; zu sprechen, bevor man weiß, ob man geliebt wird; zu bleiben, ohne zu besitzen. Die Zukunft wird nicht geliefert. Sie kommt, wenn wir das Gegenwartshandwerk ernst nehmen jenes unanständige Kleine: zuhören, widersprechen, umarmen, neu anfangen.

Vielleicht ist modernes Leben am Ende nichts weiter als ein Versuch, die eigene Menschlichkeit programmierbar zu machen, um die Überraschung über den anderen abzuschaffen. Und vielleicht ist es genau diese Überraschung, die wir retten müssen. Denn wenn alles glatt läuft, läuft bald gar nichts mehr: Reibungslosigkeit ist der Tod der Geschichte.

Bis dahin drehen wir weiter am Schloss und nennen es Fortschritt. Und irgendwo im Spiegelkanyon übt bereits eine Drohne die perfekte Beleuchtung für eine Tür, die sich nie öffnen wird.

Bitte lächeln, die Kamera denkt für dich

 

*Hinweis für Neuankömmlinge: Dieser Blog brutzelt Realität zu Satire erst den Humor einschalten, dann die Empörung servieren!*

 

Die Wirklichkeit, wie immer, franst am Rand: Erst klangen die Ansagen nach schnellem End-to-End in 20 Minuten; dann kamen 2024/2025 die ersten Berichte über Kürzungen und Zeitpläne, die plötzlich nicht mehr bis zur Horizontlinie reichten statt 170 Kilometern erst mal 1,5 bis 2,4 Kilometer bis 2030. Große Geste, kleine Lieferung: die Architektur-Version eines Sneak Previews.

 

 

Auch die Nebenwirkungen stehen im Kleingedruckten: Spiegelwände und Zugvögel sind keine Freundschaft, sagen Planer hinter vorgehaltener Hand„signifikante“ Vogelschläge wären bei einer auf Migrationsrouten gestellten Spiegelburg kaum zu vermeiden. Dazu gesellen sich wiederkehrende Berichte über Sicherheitsrisiken und miserable Arbeitsbedingungen das alte Erbe der Megaprojekte, jetzt mit Hochglanzfilter.

 

 

Die Utopie hat also eine reflektierende Fassade und einen Schattenwurf.

 

 

„The Line“ ist die ästhetische Pointe einer Zeit, die lieber den Horizont begradigt, als die Lebensläufe der Menschen zu entkrampfen. Wir polieren die Zukunft, damit die Gegenwart in der Spiegelung hübscher wirkt.

 

 

Das Benutzerhandbuch der Gegenwart

Modernes Leben ist voll von solchen ästhetischen Abkürzungen. Wir verschieben unsere Hoffnungen in Interfaces, die versprechen, uns von Arbeit, Reibung und Gott bewahre anderen Menschen zu befreien. Doch die wirkliche Gegenwart ist klebrig: Sie verlangt die kleinsten Künste Konflikt ohne Vernichtung, Nähe ohne Besitz, Kritik ohne Exkommunikation. Leider sind das Disziplinen, die sich schlecht monetarisieren lassen.

Der Wüsten-Spiegeltrick

Damit wir uns beim Träumen nicht langweilen, bauen wir gerne Metaphern aus Beton. Nehmen wir „The Line“dieses Science-Fiction-Lineal im Sand (und nein, nicht in den Emiraten, sondern im saudi-arabischen NEOM). Vorgesehen: eine lineare, auto- und straßenfreie Stadt, 170 Kilometer lang, 200 Meter schlank, 500 Meter hoch, maximal verdichtet, angeblich zu 100 % mit Erneuerbaren betrieben und von KI beflüstert bis zu neun Millionen Menschen auf gestochen scharfem Stadtkorridor, der eher wie ein Spiegelkanyon aussieht als wie ein Zuhause

.

Ein Projekt, so glatt poliert, dass sogar die Utopie an Fingerabdrücken erstickt.

 

 

 

 

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Elda Kovacevic verbindet scharfsinnige Analyse mit ästhetischem Feingefühl. Als Digital Publisher & Kolumnistin schreibt sie über moderne Lebensstile, menschliche Psychologie und die Kunst, sich in einer lauten Welt stilvoll zu behaupten. Mit einem unverwechselbaren Mix aus Humor, Tiefgang und provokanter Eleganz bringt sie komplexe Themen auf den Punkt authentisch, reflektiert und immer mit einer Prise sarkastischer Wahrheit.

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Datingdramen, Interior-Katastrophen und Büro-Märchen

hier werden Büro-Märchen Datingdramen, und Interior-Katastrophen auseinander hepflückt wie ein Sonntagsbraten fachgerecht, humorvoll und mit der nötigen Würze Arroganz. Nichts für Zartbesaitete, aber ideal für Menschen mit Geschmack und Rückgrat.