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Konfliktkultur ist der Ort, an dem die Biografie das Firmenlogo trägt.

Führung ist in vielen Organisationen weniger Zielsteuerung als unmoderierte Familienaufstellung mit WLAN.

Manche Unternehmen investieren in Employer Branding, andere in Obstkörbe und wieder andere in etwas, das sie „Konfliktkultur“ nennen, obwohl es sich bei näherem Hinsehen eher wie ein höflich eingerichtetes Minenfeld anfühlt. Im Reporting heißt das dann „offene Kommunikation“, im Alltag eher „bitte nichts Falsches sagen, die Luft ist heute schon dünn genug“. Wer lange genug führt, weiß: Im Meetingraum sitzt nie nur das Team. Es sitzen auch Kindheiten, alte Schulhöfe und ein paar unausgesprochene Familienfeiern mit am Tisch.

Was bleibt, wenn der Nebel sich lichtet?

Führung ist in vielen Organisationen weniger Zielsteuerung als unmoderierte Familienaufstellung mit WLAN.

Man merkt es daran, dass ein unschuldiger Satz wie „Lass uns das konkret machen“ in manchen Runden wirkt, als hätte jemand die Klimaanlage auf emotionalen Winter gestellt. Der Luftdruck fällt, Rücken sacken nach vorn, jemand räuspert sich bedeutsam, ein anderer sucht sehr intensiv nach etwas in seinem Laptop, das garantiert nicht die Agenda ist. Offiziell geht es um Budgets, Deadlines, Zuständigkeiten. Inoffiziell geht es um etwas weitaus Stabileres: Status, Zugehörigkeit und die Frage, wessen innerer Zehnjähriger heute gewinnen darf.

Konfliktkultur ist der Ort, an dem die Biografie das Firmenlogo trägt.

Wer da eigentlich sitzt

Die meisten Organigramme zeigen Kästchen mit Funktionen. Die Realität zeigt Rollen. Offiziell: Head of This, Senior That. Inoffiziell: Dramaturg, Schattenregierung, mobiles Frühwarnsystem. Die Besetzung ist selten bewusst, aber erstaunlich konstant.

Da ist die Person, deren Tränenkurve exakt mit jeder Form von Klartext synchronisiert ist. Kaum taucht ein Satz mit Subjekt, Verb und Verantwortung auf, beginnt im Nervensystem ein Feuerwerk, das jede nüchterne Diskussion innerhalb von Sekunden in eine sanft eskalierende Gefühlslage verwandelt. Der Ablauf ist bekannt: Eine sachliche Frage, ein kurzer Blick, eine Millisekunde Stille – und dann dieser Satz, der in vielen Unternehmen so etwas wie ein inoffizieller Shutdown-Knopf ist: „Das verletzt mich gerade.“

Man kann das als besonders sensibles Feedback lesen. Man kann auch sehen, dass hier ein altbewährtes Muster läuft: Konflikt rutscht nicht in die Bearbeitung, sondern in die Befindlichkeit. Inhalte wandern vom Flipchart in die Emotionszone, wo sie keine klaren Entscheidungen mehr treffen, sondern nur noch Stimmungen erzeugen. Wer versucht, Struktur zu schaffen, steht nach wenigen Minuten nicht mehr als Führungskraft, sondern als Verursacher von Unbehagen im Raum.

Wo Gefühle zur Währung werden, gewinnt nie das Argument, sondern die Inszenierung.

Am anderen Ende des Spektrums sitzt der professionelle Skeptiker. Menschen, die ganze Projekte ohne sichtbare Aggression in Zeitlupe zerlegen. Sie widersprechen selten frontal. Sie stellen nur Fragen. Viele Fragen. Immer genau dann, wenn ein Beschluss in Reichweite kommt. Auf dem Papier sind es legitime Rückfragen. Im Raum fühlt es sich an, als müsste jede Idee einen Härtetest bestehen, den sonst nur Raumfahrtprogramme kennen.

Von außen wirkt das lobenswert gründlich. Von innen erinnert es an jene Art von Qualitätskontrolle, bei der das Produkt am Ende so lange geprüft wurde, bis niemand mehr weiß, warum es überhaupt entwickelt wurde. Wer genau hinhört, spürt: Hier wird nicht die Lösung geprüft, sondern die Zumutung, dass sie von jemand anderem stammt. Es geht weniger um Inhalt als um Bedeutungsverschiebung.

Führungskräfte, die länger als ein Quartal überlebt haben, kennen dieses Muster. Sie wissen, dass sie an der Oberfläche endlos über Zahlen und Annahmen diskutieren können, während darunter eine viel einfachere Frage arbeitet: „Was bin ich, wenn andere Recht behalten dürfen?“

Nicht jede kritische Frage ist Sabotage aber erstaunlich viel Sabotage spricht fließend „Ich habe nur eine Frage“

Zwischen diesen Polen sitzt die Fraktion der Friedenstechniker. Menschen, die Harmonie nicht als Nebenprodukt guter Zusammenarbeit verstehen, sondern als offiziell ausgerufenen Systemzustand. „Mir ist wichtig, dass wir respektvoll miteinander umgehen“, sagen sie gern in dem Moment, in dem ein Konflikt erstmals eine brauchbare Form annimmt. Auf den ersten Blick ist das sympathisch. Wer wäre gegen Respekt. Auf den zweiten Blick entsteht ein Klima, in dem jede klare Aussage sich ein bisschen fühlt wie öffentliches Fehlverhalten.

 

Spannungen werden nicht gelöst, sie werden weichgespült. Aus „Ich sehe das anders“ wird „Das ist doch jetzt nicht so wichtig.“ Aus „Wir haben ein strukturelles Problem“ wird „Lass uns positiv bleiben.“ Die Absicht ist selten destruktiv. Die Wirkung ist zuverlässig: Konflikte verschwinden nicht, sie wechseln nur die Etage von der Gesprächsebene in den Flurfunk, von der Agenda in die Nacht.

 

Die Organisationspsychologie kennt dieses Muster gut: Teams, in denen Dissens als unhöflich gilt, produzieren nicht Frieden, sondern Anpassung. Menschen stimmen zu, die innerlich bereits auf dem Absprung sind. Auf dem Papier herrscht Einigkeit. In der Realität herrscht das, was man mit einiger Präzision „leise Kündigung bei vollem Login“ nennen könnte.

Dann wäre da noch die stille Mehrheit, die niemand wirklich auf dem Radar hat, bis eine Mail mit CC eintrifft, die sich liest wie das Drehbuch eines Spätprozesses. Diese Menschen sagen in Meetings wenig, nicken vielleicht, schreiben konzentriert in ihre Laptops, sind „mitgenommen“. Und dann, wenn Entscheidungen umgesetzt, Ressourcen gebunden und erste Schritte gegangen sind, kommt eine Nachricht, in der der gesamte Prozess noch einmal grundsätzlich in Frage gestellt wird. Man fühle sich übergangen, nicht eingebunden, habe Bauchschmerzen, sei irritiert.

Spannend ist weniger die Kritik als der Zeitpunkt. Schweigen wird über Monate als Zustimmung gewertet, bis klar wird, dass es ein Puffer war. Nicht, weil jemand bewusst sabotieren wollte, sondern weil das kleine Wörtchen „Nein“ in Echtzeit nie wirklich verfügbar war. Was nicht gesagt werden konnte, kommt später – mit Zins und Zinseszins.

Führung sieht sich dann mit einer Aufgabe konfrontiert, die in keiner Stellenbeschreibung steht: historische Spurensuche. 

War hier wirklich Exklusion?

Oder hat jemand schlicht das alte Skript abgespielt, nach dem Widerspruch gefährlich ist und daher aufgeschoben wird, bis der Rahmen sicher genug erscheint, um Drama zu legitimieren?

Wo das alles herkommt

Nach einigen Jahren in dieser Szenerie stellt sich weniger die Frage, ob jemand „komplex“ ist, als die, welche Komplexe gerade Dienst haben

denn Konflikte entstehen selten am Whiteboard!

Sie entstehen an den Sollbruchstellen im Nervensystem. Bindungsforschung und Stressforschung liefern seit Jahrzehnten die Fußnoten: Menschen, die früh gelernt haben, dass Kritik mit Verlust, Beschämung oder Liebesentzug gekoppelt war, erleben Feedback später nicht als Information, sondern als Alarm. Was in einer nüchternen Kultur als normaler Austausch durchgeht, wird in diesen Systemen als Bedrohung codiert.

Gallup berichtet seit Jahren von „disengaged“ Mitarbeitenden, DAK und andere Kassen dokumentieren die psychische Mitverursachung von Krankmeldungen, Harvard Business Review berechnet den Effekt schlechter Führung auf Fluktuation und Performance. Unter all diesen Zahlen liegt ein stiller Konsens: Organisationen funktionieren nicht trotz Menschen, sondern exakt so gut wie deren innere Architektur es zulässt.

Teams sind keine Ansammlung von Kompetenzen, sondern eine Verdichtung von Biografien. Die Kollegin, die jede Planabweichung als Kränkung wahrnimmt. Der Kollege, der nur dann aufblüht, wenn er retten darf. Die Führungskraft, die Kontrolle nicht loslässt, weil sie innerlich noch immer an jenem sicheren Platz sitzt: der einzige, an dem früher nichts explodierte.

Was das kostet jenseits der Nerven?

Die Bilanz dieser Muster lässt sich nüchterner ziehen, als es der emotionale Lärm vermuten lässt

Konfliktkultur entscheidet, wer bleibt :::

Konfliktzeiten werden in Studien regelmäßig auf mehrere Stunden pro Woche und Kopf geschätzt. Nicht jeder Konflikt ist ein Schaden viele sind der einzige Ort, an dem Innovation überhaupt geboren wird. Entscheidend ist die Qualität: Wird gestritten oder verschoben, geklärt oder konserviert?

Ein erheblicher Anteil dieser Stunden fällt in die Kategorie Umweg. Zähe Abstimmungen, die nichts entscheiden. Gespräche, in denen alle etwas fühlen, aber niemand etwas ausspricht. Rückzüge, nach denen man exakt an derselben Stelle steht wie vorher, nur müder. Rechnet man das mit typischen Gehaltsstrukturen hoch, landet man schnell im mittleren sechsstelligen Bereich. Nicht bei globalen Playern bei ganz normalen Häusern mit dreistelligem Headcount.

Hinzu kommen Fluktuationskosten, wenn ausgerechnet diejenigen gehen, die das System stabilisieren könnten: Menschen, die Klarheit aushalten und aussprechen. Es ist kein Zufall, dass in vielen Organisationen nicht die Lautesten gehen, sondern die, die am wenigsten Lust haben, ihre Energie in dramaturgische Nebenkriegsschauplätze zu investieren.

Konfliktkultur entscheidet, wer bleibt: die Taktierer oder die Wertschöpfer.

Strategie

Wie Führung daraus mehr macht als Dauerschadensbegrenzung

Führung, die diesen Untergrund ignoriert, reagiert mit der immer gleichen Strategie: mehr Struktur. Wenn die Emotionen überkochen, wird ein weiterer Prozess eingeführt. Wenn die Kommunikation hakt, kommt ein neues Tool. Wenn Teams sich gegenseitig blockieren, folgt ein Offsite mit Post-its. Man baut Systeme, wo man Sprache bräuchte, und kauft Methoden, wo Haltung gefragt wäre.

Der erste sinnvolle Schritt ist unspektakulär: Konflikte nicht als Störung des Betriebs, sondern als Diagnosetool lesen. Wer sich regelmäßig an denselben Stellen verhakt, zeigt nicht Schwäche, sondern Symptom. Es ist das Röntgenbild einer Kultur, die an bestimmten Punkten keinen tragfähigen Rahmen bietet. Die klügere Frage ist deshalb selten „Wer ist schuld?“, sondern fast immer: „Welche Stelle im System ist unterdefiniert, unterversorgt oder überladen?“

Dafür ist keine Gruppentherapie nötig. Es reicht, die Reflexe zu justieren. Nicht jedes Tränchen braucht einen Kurswechsel. Nicht jede kritische Nachfrage ist ein Putschversuch. Nicht jede stille Person ist einverstanden. Und nicht jede Lautstärke ist Führung.

Führung, die das verankert, tut etwas, das nach außen unspektakulär wirkt und im Inneren tektonische Verschiebungen erzeugt: Sie trennt Gefühl von Entscheidung, ohne eines von beiden abzuwerten. Sie lässt alles im Raum sein und hält trotzdem am Kurs fest, wenn dieser fachlich stimmt.

Was bleibt, wenn der Nebel sich lichtet

Führung ist nicht die Kunst

alle zu halten, sondern die, die Richtigen zu halten und die Falschen loszulassen, ohne Theater ...

Es gibt keine Checkliste, die jahrzehntelang eingeübte Überlebensstrategien in zwei Quartalen umprogrammiert. Aber es gibt Entscheidungspunkte, an denen sich die Richtung fast brutal klar zeigt. Einer davon: die Frage, welche Art von Erwachsensein eine Organisation tatsächlich belohnt.

Führung, die sich ihrer Macht bewusst ist, verwechselt Empathie nicht mit Schonung. Sie hört zu, ohne sich zur Reparaturwerkstatt für jeden inneren Sturm zu erklären. Sie nimmt Gefühle ernst, aber nicht wörtlich. Und sie sagt Sätze, die in weichgespülten Kulturen fast obszön wirken, in reifen Systemen aber als Entlastung erlebt werden: „Ihr Empfinden ist relevant der Beschluss bleibt.“

Eine solche Führung schützt nicht vor Konflikten, sie macht sie brauchbar. Sie sorgt dafür, dass aus emotionaler Pyrotechnik wieder so etwas wie gerichteter Schub wird. Sie stellt das System über die Dramaturgie einzelner Rollen. Und sie akzeptiert, dass manche Rollen sich nur dann verändern, wenn die Bühne, auf der sie funktionieren, kleiner wird oder verschwindet.

Führung ist nicht die Kunst, alle zu halten, sondern die, die Richtigen zu halten und die Falschen loszulassen, ohne Theater.